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Das Wunder der Vergebung

Vergebung und Loslassen sind die Sprungbretter in ein Leben, welches wir uns erträumen. Wir müssen erst mit dem Alten aufhören, um das Neue zu beginnen. Während der Reise zu mir selbst stellte ich fest, dass Vergebung ein wichtiges Werkzeug ist, um mich lieben zu lernen.


Oma. Mama. Tochter. Manchmal liegen die Verletzungen in den Anfangstagen unseres Lebens oder sogar in der Zeit vor unserer Geburt. Dieses Aufspüren von Wunden aus unserer frühesten Kindheit, den Mut, diese Schmerzen und Verletzungen anzuschauen und die Größe, diese Vorwürfe zu vergeben, zählt zu den großen Herausforderungen unseres Lebens. Doch das Wachstum, die Freiheit und die Liebe, welche danach auf uns warten, sind diese Anstrengungen auf jeden Fall wert. Wir heilen mit dieser Detektivarbeit nicht nur uns selbst, sondern schenken gleichzeitig unserer Mama und unseren Töchtern die Chance diese Schmerzen, die auch in ihnen wohnen, loszulassen.


Vor ein paar Monaten reiste ich mit meiner Mami nach Thailand. Gemeinsam mit meiner Schwester besuchten wir unseren Bruder, der seit fünf Jahren als buddhistischer Mönch in einem Kloster lebt. Während dieser sehr nahen und intensiven Zeit mit meiner Mutter, fielen mir viele Eigenheiten auf, die mich triggerten. Obwohl ich die gemeinsame Reise, das Land, die Erlebnisse genoss, spürte ich jeden Tag eine zunehmende Aggression und Wut in mir aufsteigen. Vielleicht war es auch die Wunde, die aufplatzte und mich den Schmerz der Vergangenheit spüren lies. Ich sah mich als kleines Kind in einer Situation wieder, welche meine Mama und mich total überforderte. Ich spürte als diese 4 Jährige eine riesige Panik, eine Angst. Aber ich begriff auch, dass meine Mami zu sehr mit sich beschäftigt war und mich nicht trösten konnte. Ich hatte den Wunsch in den Arm genommen zu werden, wollte hören, dass alles wieder gut wird, ich mir keine Sorgen machen brauche. Ich wünschte mir, dass meine Mama mir übers Haar streicht und mir suggeriert, es ist nicht schlimm, ich beschütze dich.

Stattdessen stand ich da, völlig gelähmt. In diesem Moment entschied etwas in mir, ich muss meiner Mutter helfen, sie trösten, die Mama für sie sein.


Diese Aufgabe übernahm ich ungefragt. Ich lebte mich so in diese Rolle ein, dass ich sie bis vor einigen Jahren ausfüllte. Dort in Thailand kam dieser Schmerz, diese Traurigkeit und die wahnsinnige Überforderung ans Tageslicht. Der stille Vorwurf an meine Mama und auch an mich. Nach einer schlaflosen Nacht fasste ich mir Mut, dieses Thema anzusprechen. Es ist nicht leicht, so einen schweren Vorwurf auszusprechen. Ich weiß, es war meine Sicht der Dinge. Es war auch meine eigene Entscheidung, obwohl ich diese mit 4 Jahren Lebenserfahrung noch gar nicht treffen konnte.

Als Mama von zwei Kindern bin ich mir sehr klar darüber, dass man unweigerlich Dinge im Alltag tut, die Schmerzen bei Kindern hervorrufen. Der eigene Stress, die Gefühle und Gedanken, die Zerrissenheit und Unsicherheit mit sich selbst, führen zu Handlungen, die nicht immer gut sind. Doch es ist das beste, wozu wir in diesem Moment fähig sind. Wir tun nie mutwillig jemandem weh.


Ich danke meiner Mama, dass sei dieses Gespräch, auch wenn es schwer war, angenommen hat. Ich spüre, wie sich unsere Beziehung Woche für Woche verbessert, wir uns näher kommen, tiefere Gespräche führen uns liebevoll umarmen und zusammen lachen. Mit einem Mal ist es mir möglich, meine Kindheitserlebnisse, Momente und Geschenke mit meiner Mami in ein glänzenderes Licht zu stellen. Diese Vergebung löste den Schleier, der über unserer Beziehung hing. Ich erinnere mich jetzt an Gesten voller Liebe, Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben und spüre die Liebe und die Verbundenheit zu ihr. Es fällt mir viel leichter, die Eigenschaften und Fähigkeiten in mir zu lieben, die sie mir vererbt hat. Viele wundervolle Ressourcen, die ich sonst gern verdrängte.


Heute blicke ich mit riesigem Stolz auf meine eigene Tochter. Sie erzählt, mir mit Begeisterung von ihren eigenen Stärken, weil sie sich gerade für eine Bewerbung ihres Traumstudiums vorbereitet. Fast kullern mir Tränen der Rührung über die Wangen. Ich weiß, dass ein Teil von mir in ihr weiterlebt. Viele ihrer Stärken sehe ich genauso bei mir. Mit dem Unterschied, dass ich 45 Jahre brauchte, um sie mir bewußt zu machen. Doch jetzt spüre ich sie und liebe ich mich dafür.


Vergebung unserer Vorfahren heilt nicht nur uns selbst. Vielmehr schenken wir unseren Kindern neue Möglichkeiten und Chancen. Wenn wir in dem Schmerz der Vergangenheit verweilen, limitieren wir nicht nur uns, sondern auch sie.


Meine Erfahrung zeigt mir, dass es gut ist, Vergebung im Stillen zu praktizieren. Ich kann das zu Vergebende aufschreiben, aufstellen oder darüber meditieren. Doch die größte Kraft hat bei mir das persönliche Gespräch.


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