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Mein inneres Kind

Der Schnee bedeckt die Felder heute wie eine Zuckerkruste das Crème Brûlée. Die Grashalme stechen überall heraus. Kalte feuchte Luft legt sich wie eine unsichtbare schwere Schicht auf mich, passend zu meiner Gemütsverfassung heute morgen. Ich musste mit mir verhandeln, um meine Langlaufski zu greifen und mich die 50 Meter bis zum Feld zu schleppen. Einmal überwunden und die Ski angeklickt, läuft es besser als gedacht.


Schon nach den ersten Metern freue ich mich, dass ich losgelaufen bin. Anders als sonst nehme ich mich innerlich in den Arm und finde es völlig ok, dass ich heute unmotiviert bin. An anderen Tagen hätte ich mich über meine Lustlosigkeit geärgert, analysiert, warum das so ist und mich mit den Worten „hab dich nicht so“ hochgequält. Ich spüre einen deutlichen Unterschied. Ja, ich bin heute auch aufgestanden. Neu ist, ich hatte Mitgefühl für meine Seele. Die hätte sich lieber unter die Sofadecke gekuschelt und geheult. Ich bin traurig und liebe mich dafür, dass ich diese Traurigkeit zulasse.


Erzählen möchte ich eigentlich eine wunderschöne Begebenheit, die mir auf meiner Tour über den Schnee lief. Vertieft in das Knacken des Schnees, hatte ich beim Laufen ein Déjà-vu. Ich sah mich vor zirka zwei, vielleicht auch vor drei Jahren. Ich glitt genau wie heute mit meinen Ski über die Wiesen, das Wetter nebelig und kalt, der Schnee damals deutlich weicher und üppiger. Ich zog eine Spur in den weißen Flockenteppich. Da erschien mir in Gedanken oder in meinem Gefühl ein Embryo. Es war kein niedliches, weiches, zartes Baby. Nein, ein furchtbar hässliches, blaues, glitschiges, stinkendes Etwas. Ich traute mich kaum hinzuschauen, geschweige denn es zu berühren. Wer den Film Das Parfum gesehen hat, kennt dieses Kind, welches auf dem Fischmarkt unter dem Tisch geboren wurde. So in der Art, sah mein Embryo aus. Ich hatte mich seit einiger Zeit etwas mit meinem inneren Kind beschäftigt. Es dämmerte mir, dass das wohl mein inneres Kind sein muss. Mein erster Gedanke: ich bade es in Schaum, wickle es in schöne Kleider und weiche Decken und schon sieht es viel ansehnlicher aus. Diese Idee gefiel dem Baby nicht. Es wollte so hässlich, unfertig, riechend, schleimig geliebt werden.


In meinem wahren Leben achte ich immer sehr darauf, dass alles schön aussieht. Schicke Kleider, hübsche Wohnung, alles soll sehr geschmackvoll sein. Ich spürte, dieses Kind will mir etwas sagen. Es war das Gegenstück, der Ausgleich zu meinem Schönheitsideal. Es wollte so wie es war gehalten und geliebt werden. Ich fasste mir ein Herz und nahm es innerlich in die Arme, drückte es an meine Brust. Es dauerte nicht lange und es wurde ganz von allein wärmer, schöner und weicher. Ich entdeckte sogar etwas Hübsches an ihm, je mehr ich akzeptierte wie es war. Ich merkte, es war einzigartig. Seit dieser Zeit dachte ich nur noch selten daran.



Doch heute auf der weisen Wiese kam es mir wieder in den Sinn. Ich kombinierte, dass dieses innere Kind in den letzten 2 bis 3 Jahren sehr gewachsen war. Es hat sich entfaltet und seine wahre Größe, Schönheit und Liebe entdeckt. In dieser neuen Präsenz verband sich mein inneres Kind vor einigen Wochen mit mir. Ich habe in meinem Blogbeitrag „angekommen“ erzählt, dass ich das Gefühl hatte, meine Seele ist in mich hineingeschlüpft. Ich bin mir nicht sicher, ob das innere Kind mit der Seele gleichzusetzen ist, aber ich glaube es sind ähnliche Wesen.


Nehmen wir uns so an, wie wir sind, geben wir uns die Erlaubnis, uns in unsere volle Größe zu entfalten.

Das fühlt sich wundervoll an.


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