Märchenhafter Schnee, sechzig Zentimeter feinster Powder, Puderzucker frisch vom Himmel gefallen, weich, zart, glitzernd verzaubert er die Welt und mich. Ich habe mich mit einer Gruppe verabredet, mit Ski die Berge zu erklimmen und uns im Tiefschnee fallen zu lassen, hineinzugleiten, hinabzuschwingen und zu verschmelzen. Vor dem Genuss steht der Aufstieg. Die Gruppe ist schnell. Auffellen, Schuhe schließen, Jacke, Piepser, Rucksack, Stöcke und los geht es.
Ich bin langsam, starte als Letzte. Zum Glück hat einer Verständnis oder die Aufgabe, hinter mir zu laufen. Ich fühle mich gehetzt von den Mitstreitern vor mir und will dem hinter mir weglaufen. Der Abstand vergrößert sich, mein Stress auch. Ich keuche nach den ersten 500 Metern wie eine Dampflock. Alle sind schneller. Ich bin das nicht gewohnt. Sonst laufe ich mindestens im ersten Drittel. Dahin will ich. Doch ich falle ab. Noch mehr Stress, Kampf. Mein Körper will. Mein Geist macht mir ein schlechtes Gewissen.

Stop! Ich bin hier im Urlaub, nicht auf der Flucht. Keiner erwartet, dass ich so schnell wie die anderen bin. Wer treibt mich? Ich? Die Anderen kennen mich nicht. Ich überlege, warum ich nach vorn will. Weil ich es so gewohnt bin. Weil ich weiß, dass man sich unwohl fühlt, wenn man hinten läuft. Weil mein Papa gesagt hat, pass auf, dass andere dich nicht überholen. Weil ich daran glaube, dass es an der Spitze schöner ist.
Ich nehme wahr, wie sich in mir etwas spaltet. Mein Körper und mein Geist drängen mit aller Macht nach vorn. Eine alte Freundin, meine Leistungssucht, mein Anspruch, die Beste zu sein, kehren zurück. Je mehr wir uns anstrengen, um so stärker fallen wir zurück. Erst vor ein paar Tagen hatte ich ein Erlebnis. Ich spürte, wie ein verborgener Teil von mir in mich hineinschlüpfte. Es war der Teil, ich nenne es meine Seele, die nie mit meiner Schnelligkeit mithalten konnte. Und heute mag sie sich am liebsten gleich wieder an den Wegrand setzten. Sie meint zu meinem Körper und meinem Geist: „rennt voraus und sammelt mich auf dem Rückweg wieder ein.“
Ich möchte nicht wieder getrennt sein, meiner Leistungssucht keinen Raum mehr geben. Jetzt, wo ich mich in mir angekommen fühle, suche ich nach einer neuen Strategie. Ich weiß, dass ich es schaffe, meinen Körper, meinen Geist und meine Seele mitzunehmen. Ich entspanne mich. Atme tief in mein Becken und spüre, wie sich der Raum ausdehnt. Meine Seele Platz bekommt, sich bewegen kann und aufatmet. Ich schaue mich um, sehe den wunderschönen Schnee, die gigantischen Berge, die anderen Menschen, die Spuren. Ich fühle mich eins mit mir und mit allem um mich herum.
Ich höre meinen Hintermann sagen, mach keinen Stress. Er gibt mir Tipps, wie ich noch effektiver laufe, meine Stöcke einsetze. Ich entspanne weiter, außen und innen. Wie durch ein Wunder komme ich näher an die Gruppe heran. Jetzt, wo ich nicht mehr will, es annehme, loslasse. Ich atme leichter, gehe kraftvoller, verbrauche weniger Energie. Am Gipfel angekommen, bin ich unendlich glücklich, dass ich alle Teile von mir mitgenommen habe. Vor allem meine Seele ist die, die jetzt alle Eindrücke aufsaugt. Die berührt wird von der Schönheit der Natur, die spürt, wie geschmeidig wir uns im Schnee bewegen, die verschmilzt mit dem Augenblick. Es ist der Teil, der jedes Erlebnis nach innen bringt, in mich eindringt, mich erfüllt. Meine Seele lässt mich Gefühle spüren, nicht nur im Kopf, sondern in jeder Zelle meines Körpers.